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„Das Abitur sind Einbußen bei Geld und Freizeit allemal wert“

Leuchtturm
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Die 29-jährige Tina G. gab für das Abitur am Greifswalder Abendgymnasium ihre Selbstständigkeit in Stralsund auf

Schon immer wollte Tina G. ihr Abitur machen. Mit einem qualifizierten Realschulabschluss hatte die 29-Jährige auch schon eine Zusage von einem Fachgymnasium in der Tasche. Aber dann war eine Lehre doch verlockender. „Wenn man sieht, dass man bei einer Berufsausbildung bereits erstes eigenes Geld verdient, hat eine Lehre einiges für sich. Und so entschied ich mich nach der 10. Klasse für eine Lehre. Die junge Frau absolvierte eine Ausbildung zur Kauffrau für Verkehrsservice bei der Deutschen Bahn und verdiente nicht schlecht. Im ersten Lehrjahr gab es bereits 850, damals noch DM, und im dritten 1000 DM. Doch nach der Lehre im Jahr 2002 ging es, trotz eines sehr guten Abschlusses nicht weiter. Tina G. fand keine Anstellung in ihrem erlernten Beruf. „Ich hätte in die Großstädte wie München und Frankfurt am Main gehen können, aber das wollte ich nicht. Ich komme aus Samtens auf Rügen, das war mir dann doch zu weit weg“, erinnert sie sich.
 
Und so war Tina G. nach der Lehre einen Monat lang erst einmal arbeitslos. In einem Nagelstudio fing sie zu jobben an. Learning by doing hieß die Devise. Es machte ihr Spaß und sie absolvierte Fortbildungskurse. Später eröffnete sie dann ihr eigenes Nagelstudio in Stralsund. Und obwohl es gut lief, konnte das doch nicht alles gewesen sein. Und so entschied sich Tina G. im Jahr 2007, den Fachhochschulabschluss im Rahmen eines Fernstudiums mit der Studiengemeinschaft Darmstadt nachzuholen. In 32 Monaten für 4000 Euro Studiengebühr zum Fachhochschulabschluss.
„Die Entscheidung für ein Fernstudium fiel wegen meiner Selbstständigkeit. Doch so einfach, wie ich es mir vorstellte und es mir durch die Studiengemeinschaft suggeriert wurde, war es nicht. So ein Fernstudium bedeutet sehr viel Eigeninitiative und Disziplin“, sagt Tina G. Am schwierigsten für die junge Frau war die Zeiteinteilung. Als Selbstständige hatte sie eh nicht viel Freizeit. Laut Studienplan sollte sie täglich drei bis vier Stunden über den Büchern sitzen. Und was in der Woche nicht geschafft wurde, musste am Wochenende erledigt werden. Doch recht vorwärts kam sie nicht. Das Problem war, dass ihr niemand zur Seite stand, den sie mal kurz hätte fragen können, wenn sie nicht weiter wusste. Auf Antworten von ihrem Tutor musste sie zwei Wochen warten. „Das Material war gut, aber es fiel mir schwer, es zu verstehen. Ich wusste nie, was genau ist jetzt wichtig. Und so habe ich es auch nicht geschafft, die vorgegebene Zeit für die einzelnen Lektionen einzuhalten“, sagt sie. Als Tina G. drei Wochen lang über einer Biologiehausaufgabe saß, war sie soweit, den PC aus dem Fenster zu werfen. Sie wollte das Fernstudium abbrechen.
Irgendwann in dem ganzen Dilemma kam ihr der Gedanke, dass es so etwas wie ein Abendgymnasium doch geben musste. Das Internet half und spuckte vier Abendgymnasien in MV aus. Das nächste war das Greifswalder Abendgymnasium „Wolfgang Koeppen“. Auf gut Glück fuhr sie spontan nach Greifswald und traf dort sofort auf Schulleiterin Gudrun Günther. „Ich war zu dem Zeitpunkt völlig verzweifelt, war aber noch nicht soweit, meinen Traum vom Abitur aufzugeben“, sagt Tina G. Nach einer halben Stunde mit der Schulleiterin hatte sie die Zusage für das Abendgymnasium. Und nur eine Woche später ging es los. Das Schuljahr 2011/12 fing gerade an.
 
Durch das Fernstudium war es Tina G. möglich, sofort als Quereinsteigerin in der 12. Klasse zu beginnen. Normalerweise geht das nicht. Ist aber möglich, wenn jemand besondere Bedingungen erfüllt, beispielsweise mit Fachhochschulreife kommt, schon einmal am Abendgymnasium war oder aber eine adäquate schulische Ausbildung gemacht und die Schule aus verschiedenen Gründen abgebrochen hat. Und Tina G. hatte durch die Darmstädter Fernstudiengemeinschaft bereits Abiturwissen erworben.
 
Der Beginn am Greifswalder Abendgymnasium war für die junge Frau sehr anstrengend, da sie bis 16 Uhr arbeitete und dann im gestreckten Galopp zu um 16.45 Uhr pünktlich in Greifswald zum Unterricht sein wollte. Und irgendwann dazwischen musste sie auch noch lernen.  „Da ich die Schule aber höher einschätzte als meine Selbstständigkeit, schloss ich mein Nagelstudio zum Dezember 2012 und beantragte BAföG, was ich auch bekam. Jetzt konnte ich mich ganz der Schule widmen“, sagt Tina G. Da es allein mit dem elternunabhängigen BAföG, das später nicht zurückgezahlt werden muss, nicht funktionieren würde, immerhin wohnt Tina G. nicht in Greifswald und auch nicht mehr bei ihren Eltern, hat sie zum 1. Januar 2012 zusätzlich mit einer geringfügigen Beschäftigung angefangen. Die finanziellen Einbußen sind ihr das Abitur allemal wert. Tina G. möchte auf alle Fälle später einmal studieren. Welche Richtung, das weiß sie aber noch nicht.

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